google.com, pub-5140930561534643, DIRECT, f08c47fec0942fa0

Liedermacher Wolf Biermann wohnte vor seiner Ausbürgerung im Eckhaus

Das Eckhaus in der Chausseestraße 131 im Berliner Bezirk Mitte hinterlässt keinen besonderen Eindruck, denn ihm fehlt ein bisschen Farbe auf der Fassade, um die Blicke der Betrachter anzuziehen. Denn hier wohnte einst Karl Wolf Biermann, deutscher Liedermacher und Lyriker, der 1953 als Sechzehnjähriger von Hamburg in die DDR übergesiedelt war und ab 1960 erste Lieder und Gedichte veröffentlichte.

„Chausseestraße 131“ hieß dann auch seine erste eigene Langspielplatte, die in der Wohnung aufgenommen wurde. Wolf Biermanns Vater Dagobert war kommunistischer Arbeiter bei der Hamburger Werft Blohm & Voss, war Jude und kämpfte im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Er hatte Schiffe der Kriegsmarine sabotiert und wurde 1943 im KZ Auschwitz ermordet. Die Übersiedlung in die DDR hatte nach seinen Angaben die KPD organisiert, die Mutter musste jedoch in Hamburg bleiben. Er lebte in einem Schulinternat in Gadebusch bei Schwerin, wo die Stasi versuchte, ihn als Geheimen Informanten (GI) anzuwerben. Nach dem Abitur 1955 begann er ein Studium der Politischen Ökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin, das er 1957 abbrach, um bis 1959 als Regieassistent am Berliner Ensemble tätig zu sein. Danach studierte er bis 1963 Philosophie und Mathematik an der Humboldt-Universität, bekam aber trotz erfolgreicher Abschlussarbeit im Fach Philosophie kein Diplom ausgehändigt. Die Urkunde erhielt er erst nachträglich am 7. November 2008, als ihm die Humboldt-Universität Berlin die Ehrendoktorwürde verlieh.

1960 begann Biermann Gedichte und Lieder zu schreiben, 1961 gründete er in Ost-Berlin das Berliner Arbeiter-Theater (b.a.t.). Seine Inszenierung des Stückes „Berliner Brautgang“, das vom Mauerbau handelt, wurde verboten, und noch vor der Premiere 1963 musste das Theater geschlossen werden. Über Biermann wurde ein befristetes Auftrittsverbot verhängt, das ein halbes Jahr währte. Außerdem weigerte sich die SED 1963 ohne Angabe von Gründen, ihn nach seiner Zeit als SED-Kandidat als Mitglied aufzunehmen. Seinen ersten Gastspielauftritt in der Bundesrepublik hatte Biermann 1964. Im April 1965 trat er mit seinen Liedern in einem Kabarett-Programm von Wolfgang Neuss in Frankfurt am Main auf, dessen Aufnahme als LP unter dem Titel Wolf Biermann (Ost) zu Gast bei Wolfgang Neuss (West) erschien. Im Dezember 1965 verhängte das 11. Plenum des ZK der SED ein totales Auftritts- und Publikationsverbot in der DDR gegen ihn, nachdem Biermann sich mit Kritik an die DDR und SED nicht zurückhalten wollte.

Weitere Veröffentlichungen in der Bundesrepublik folgten, die unter der Hand auch in der DDR verbreitet wurden. Im September 1976 gelang es Biermann, nach elf Jahren des Verbots ein einziges und letztes Konzert vor der Wende in der DDR zu geben. 1976 wurde Biermann von der IG Metall zu einer Konzertreise in die Bundesrepublik Deutschland eingeladen, wofür ihm die Behörden der DDR eine Reisegenehmigung erteilten. Das erste Konzert in der Kölner Sporthalle wurde vom WDR in der Reihe „Radiothek“ live übertragen. Dieses Konzert diente dem Politbüro der SED als Vorwand für die Ausbürgerung „wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten“. Nach der Ausbürgerung sendete das ARD-Fernsehen am 19. November 1976 das Konzert noch einmal in voller Länge und so erfuhren die Menschen in der DDR überhaupt erst von Biermanns Lieder.

Die Ausbürgerung Biermanns löste in Ost- und Westdeutschland breite Proteste aus. Seine Gedichtbände zählen zu den meistverkauften der deutschen Nachkriegsliteratur. Biermann wurde mit zahlreichen Literaturpreisen West- und später Gesamtdeutschlands ausgezeichnet. Wolf Biermann wurde 2007 das Ehrenbürgerrecht der Stadt Berlin zuerkannt. In der Begründung hieß es, er habe wie kein Zweiter die Stadt besungen, das SED-Unrecht und die Teilung Berlins bekämpft. Text und Fotos: Klaus Tolkmitt

Nach oben