Die „Ständige Vertretung der Bundesrepublik“ in der DDR
Als 1989 immer mehr Menschen aus der DDR über Ungarn und Tschechien in den „Westen“ wollten, gab es noch eine weitere Möglichkeit, aus Ost-Berlin ausreisen zu können. Die „Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland“ hatte in der Hannoverschen Straße 28-30 in Berlin-Mitte ihren diplomatischen Sitz. Das Gebäude war für Ost-Berliner das „weiße Haus“, für das Ministerium für Staatssicherheit „Objekt 499“.
Das Grundstück war seit dem 18. Jahrhundert Kasernenstandort (zuerst Kavallerie, im 19. Jahrhundert Garde-Artillerie). Zwischen 1912 und 1914 wurde das heutige Gebäude als Kaserne errichtet für die Maschinengewehr-Kompanien des Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier-Regiments Nr. 1 und des II. Garderegiments zu Fuß. 1938 war es Polizeikaserne (Polizeischule Mitte). 1948 übergab die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) das im Krieg leicht beschädigte Haus der Akademie der Wissenschaften. 1973 räumte die Deutsche Bauakademie das Haus, das dann später für die Ständige Vertretung umgebaut wurde.
Bevor am 8. August 1989 die Ständige Vertretung wegen Überfüllung geschlossen werden musste, weil 131 DDR-Bürger das Haus besetzten, um eine Ausreise zu „erzwingen“, gab es in den Jahren zuvor immer wieder Zwischenfälle. Schon 1984 versuchten 55 DDR-Bürger über das Botschaftsgebäude in den Westen zu gelangen. Am 16. Februar 1989 durchbrach eine DDR-Familie (mit zwei Kindern) in einem Trabi die geschlossene Schranke zum Hof der Ständigen Vertretung, verletzte einen Volkspolizisten und fuhr das Fluchtauto zu Schrott. Der DDR-Anwalt Vogel übernahm die Verteidigung der DDR-Flüchtlinge, die nach einer Schamfrist ausreisen durften. Noch vor der Wende verließen am 8. September 1989 die letzten 100 „Besetzer“ die Vertretung.
Seit der Wiedervereinigung dient das Gebäude als zweiter Dienstsitz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Seit 1995 ist es ein Baudenkmal. Die Aufgaben der Ständigen Vertreter waren die von Botschaftern, die sich allerdings mit den Besonderheiten der innerdeutschen Beziehungen auseinandersetzen mussten. Sie überbrachten oder empfingen Vorschläge oder Beschwerden der Regierungen und führten Verhandlungen oder nahmen an Verhandlungen teil, zum Beispiel betreffend Verkehrswege (Finanzierung der Autobahn Berlin–Hamburg, Finanzierung von Grenzübergangsstellen, Öffnung des Teltowkanals für West-Schiffe, Straßennutzungsgebühren), Reisemöglichkeiten (Bestimmung des Personenkreises und der Reisedauer, Berechtigungsscheine, Visagebühren, Mindestumtausch). Ziel ihrer Deutschlandpolitik war die deutsche Wiedervereinigung. Die DDR galt zwar als souveräner Staat, nicht hingegen als Ausland.
Die Bundesrepublik akzeptierte eine besondere DDR-Staatsbürgerschaft nur begrenzt; die einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit war weiterhin maßgeblich. Für die DDR hingegen war die Deutschlandfrage abgeschlossen, spätestens seit 1974, als die Verfassung von 1968 geändert wurde. Für die DDR gab es zwei deutsche Staaten. Am 11. Juli 1990 verließ der Ständige Vertreter der DDR, Horst Neubauer, ohne Nachbesetzung das Haus in der Hannoverschen Straße für immer. Text und Foto: Klaus Tolkmitt